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zur Ausstellung DER SCHÖNE SAMSTAG im Einnehmerhaus Freital 2022 von Karin Weber

Man spürt die wunderbare schläfrige Trägheit eines heißen Sommertages, die man noch aus Kindertagen kennt, in einer farblichen Pracht und befindet sich inmitten einer friedlichen Idylle, die sehr fragil ist, zumal Aggressionspotential, auf dem zweiten Blick, erkennbar wird. Der Mob schreitet aus, geifernd, grinsend. Die Fangemeinde reckt die Fäuste empor, die teils zu Felsbrocken mutieren.

Ganz Maler, lässt Lucas Oertel seine Bilder in heiterer Gelassenheit, mit spielerischem Ernst, in glühenden Farbkontrasten erstrahlen, mit denen er das Medium Malerei und auch das Leben feiert. Anlass dafür, den Pinsel in die Hand zu nehmen, kann eine einzige Farbe sein, die er in allen Nuancierungen auslotet, kann ein banales Alltagserlebnis sein, dem er sich mit kindlicher Freude nähert.

Manche beschreiben seine Personnage als kauzig und naiv. Aber eigentlich hat er es nicht verlernt, die Welt unvoreingenommen zu betrachten, und dabei seinen eigenen, unverwechselbaren Stil gefunden, „menschliche Schwächen und Stärken“ zuzulassen und mit einem Augenzwinkern, voll von „komischem Ernst“, zu reflektieren: Schicht um Schicht, tupfend, spachtelnd, Pinselstrich um Pinselstrich.

Seine Personnage verliert sich mitunter in Einsamkeit und Selbstbezogenheit. Mit unwiderstehlicher Ernsthaftigkeit untersucht der Künstler Zusammenhänge zwischen dem Innen und dem Außen. Er persifliert gnadenlos Klischees, dies jedoch nicht vordergründig. Gepflegter Zweifel schadet nicht.

Man spürt, dass Lucas Oertel am schalen Frieden leidet. Er ist demzufolge wahrnehmungstüchtig und sieht sich in der Tradition der ostdeutschen figurativen Malerei. Der „kleine Schritt“ ist eine Parodie auf den Jahrhundertschritt von Mattheuer. Das Bild „Am unteren Teich“ erinnert an die Brückemaler.

Rede zur Eröffnung der Ausstellung DER SCHÖNE SAMSTAG im Einnehmerhaus Freital, 2022, von Christin Pietzko

Wir leben in Zeiten, in denen wir beinahe tagtäglich in unserem Menschenbild irritiert werden. In denen wir schnell das Gefühl bekommen können, dass das Schlechte oder das unangenehm Komplizierte überwiegt. In denen viele Menschen eher eine Bedrohung im Anderen sehen als ein Potenzial. Immer wieder werden wir in unserer Vorstellung vom Menschlichen als Tugend erschüttert. Was bedeutet Mensch-Sein heute? Was brauchen wir als Gesellschaft und was jeder Einzelne? Oft geht auf der Suche nach Antworten der Blick zurück. Denkt man an andere Zeiten: An den Sommer vor drei Jahren, zum Beispiel. Oder noch weiter: an die Sommer der Jugend, der Kindheit. Wir alle sehnen uns geradenach Unbeschwertheit, nach Ausgelassenheit, nach Einfachheit.

Lucas Oertels Arbeiten zum Ausstellungsthema „Der Schöne Samstag“ wirken in diesem Zusammenhang fast wie ein Balsam für die Seele. Sie laden uns ein, lächeln uns an, überfordern uns nicht. Wir sehen menschliche Figuren, die beisammen in der Natur sind. Stehen vor Farben deren Klarheit und Stärke unsere Stimmung heben und unser Bewusstsein erweitert. Wir haben keine Hemmungen uns den Bildern zu nähern und uns auf sie einzulassen – wie angenehm das ist, wie überschaubar alles wirkt. Wir können uns unbeschwert durch die Räume bewegen und die Erzählung erschließen, welche Lucas Oertel für uns konzipiert hat.

Aber was wird hier erzählt? Eigentlich ist das eindeutig zu beantworten: ein schöner Samstag und alles, was man an so einem Tag machen und erleben kann: Der Ausflug in die Natur, die Bootsfahrt, der Sport, der Abend und die Heimkehr nach Hause – angenehm banal. Die eigentlich spannende Frage ist nicht was erzählt wird, sondern wie. Denn obwohl die Bilder im ersten Moment so angenehm einfach und eindeutig wirken, offenbart sich mit dem intensiven Betrachten ihre wahre Raffinesse. Die Farbe ist für die Kraft der Werke von besonderer Bedeutung. Sie diktiert und kreiert letztlich das Werk, dessen Bildwerdungsprozess Lucas Oertel mit außergewöhnlichem Geschick und Zurücknahme seiner Selbst begleitet. Die besondere Farbigkeit erzeugt so nicht nur Raum, sondern auch eine sinnliche Tiefe, die unser Bewusstsein anzieht und weitet. Dazu der fleckige Pinselduktus, das Flackern der Farbstriche, die das Bild ergeben. Alles wirkt dadurch in Bewegung, vital, aber nicht aufdringlich. In gewisser Art und Weise beschäftigen die Arbeiten unseren Blick und laden uns gleichzeitig dazu ein, uns im Bild auszuruhen, das
Motiv auf uns wirken zu lassen und zu fühlen, was das mit uns macht. Lucas Oertel balanciert dabei am feinen Rand des Realismus entlang, bleibt erkennbar, aber unkonkret. In seiner Abstraktion führt er uns vor Augen, wie leicht wir menschliches erkennen, wie schnell wir gewillt sind Sympathie zu empfinden für die eigentümlich freundlichen Gesichter.Blaue Himmel oder saftig-grünes Gras bilden die Hintergründe des Geschehens. Die Sujets sind Alltagsszenen, haben häufig einen gewissen Witz, sind unaufgeregt dargestellt und ruhig erzählt. Sie scheinen nur einen flüchtigen Moment, eine Impression einfangen zu wollen. Scheinen eher innere Bilder zu sein als äußere; wie die einer Erinnerung.

Daraus erschließt sich für mich Lucas Oertels besondere Raffinesse im Umgang mit der Malerei. Denn diese ist immer genau ausbalanciert zwischen Darstellen und Abstrahieren. Ist erkennbar aber muss erkannt werden. Ist so frei in der Formensprache, dass sie manchmal nur Farbklecks ist oder Fläche und im nächsten Moment Körper, Gesicht, Proportion. Ist aber nie Abbild, nie nur Gegenwart. Ist vielmehr ein Forschen, eine Suche nach den inneren Bildern, dem Kern der dargestellten Sache, dem Darstellen eines schwer zu greifenden Gefühls, oder zumindest: der Versuch ein Bild zu erschaffen, dass wir gern betrachten. Lucas Oertels Arbeiten bieten in diesem Sinne einen angenehmen Gegensatz zu der Bilderflut unserer Zeit und unserem ständig reagieren-müssenden Bewusstsein.

Fragt man Lucas Oertel, was für ihn ein wirklich gutes Bild ausmacht, so spricht er von einer „Frische der Suche“. Malerei muss für Ihn „überraschend“ bleiben, „ein Erlebnis“. Er ist um eine „wildere Auseinandersetzung mit der Realität“bemüht, „gegen die Müdigkeit im Ausdruck“, die Wiederholung. Immer wieder neu auf die Suche gehen – auch das ist eine große Qualität seiner Arbeit. Allein indieser Ausstellung werden verschiedene Formwerdungen seiner Suche sichtbar. Es lassen sich Punkte erkennen, an denen er eine Suche gerade perfektioniert hat (zum Beispiel bei den beiden Fkk-lerinnen) – um sie im nächsten Moment zu verwerfen und nach einem neuen Ausdruck zu streben. So gewinnt sein künstlerisches Schaffen eine große Freiheit. Gewissen Prinzipien bleibt er in dieser Suche treu und doch gelingt es ihm immer wieder eine neue Möglichkeit zu finden,um die Erzählung zu erweitern.

Denn auch das Erzählen spielt für Lucas Oertel eine entscheidende Rolle, nur nicht in einer stringenten, romanhaften Form. Ihn interessiert vielmehr das Verhältnis der Einzelwerke zueinander und alles was zwischen Ihnen passieren kann. So entwickelt sich in den Räumen der Ausstellung eine recht konkrete Erzählung, die aber nicht auserzählt wird, die nicht aufgelöst wird. Wir bewegen uns durch Lucas Oertels Sammlung von Eindrücken, wie durch einen Sommertag, oder mehrere Sommertage, wieder, so scheint es mir, wie durch die Erinnerung an schöne Tage, die sich überlappen und ergänzen; das Thema durchdeklinieren.

Doch würde ich das Ausstellungsthema nur in diesem Zusammenhang interpretieren, würde ein besonderes Geschick ungenannt bleiben. Lucas Oertels Malereien bewegen sich nämlich keinesfalls nur im persönlichen Raum, sondern verorten sich ebenso in der Kultur- und Kunstgeschichte. Visuelle Verwandtschaften lassen sich zu den Freiluft-Bildern der Brücke-Expressionisten in den Moritzburger Teichen ziehen, ebenso wie zu den Momentaufnahmen der Impressionisten oder der Naivität von Henri Rousseau. Aber auch, und vom Künstler selbst als Quelle benannt, zur Malerei der DDR – insbesondere Wolfgang Mattheuer. Dessen Gemälde „Der schöne Sonntag“ ist dabei Inspiration für den Titel der Ausstellung gewesen, aber war vor allem Impuls-Geber einer ganz bestimmten Empfindung, welche Lucas Oertel beim Betrachten fühlte und dann wiederum für seine eigene Suche verwendete. Und natürlich muss in diesem Zusammenhang auch auf das Werk „Der kleinen Schritt“ verwiesen werden, der Mattheuers bekannten „Jahrhundertschritt“ kommentiert, aktualisiert, parodiert. Denn was ist von ihm übrig geblieben? Eine Geste, ein Symbol, eine Pose.

An dieser Stelle wird ein weiterer Aspekt und der letzte, den ich benennen möchte, deutlich: Das kritische Potenzial, das Skeptische, das Besorgte. Denn auch das schwingt mit, kontrastiert in den fröhlichen Gesichts-abstraktionen und hellen Farben. In all ihrer scheinbaren Einfachheit und Idylle sind Lucas Oertels Arbeiten immer auch ein Zeichen, eine Erinnerung, ein Zeigen. Ein fühlbar-Machen. Ein Sichtbar-Machen des Einfachen, Unbeschwerten. Eine Entschleunigung. Das ist heutzutage schon fast radikal. Sie fordern uns auf zur Ruhe zu kommen, zu Kontemplation.

Nur einen schönen Samstag, beginnt man sich zu wünschen. Beginnt man sich zu erinnern, an unbeschwerte Zeiten, an die Jugend, an die Kleinstadt, in der man aufgewachsen ist, an die Sommerliebe, an den See – und fühlt sich schon ein bisschen besser, ein bisschen gestärkter.

Die Bilder sind in diesem Sinne nie ganz eskapistisch, sondern viel mehr: Einladungen, Erinnerungen, Aufladung, Stärkung. Vielleicht sogar Denkmäler einer Unbeschwertheit, einer Offenheit, die wir leben wollen, einer Einfachheit, die wir brauchen, weil sie Freiheit bedeutet und Frieden. Vielen Dank.